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Meinung Kontra Hamburg

Darum sollte der Hamburger SV endlich absteigen

So viel Lethargie, so viel Selbstbetrug, so wenig Leistung. Dieser Hamburger SV gehört nicht mehr in die Erste Liga, meint Ulrich Exner – auch wenn ein persönlicher Grund dagegenspricht.

Nach einer Saison zum Vergessen hat sich der Hamburger SV, das einzige Gründungsmitglied der Bundesliga, das nie abgestiegen ist, noch in die Relegation gerettet. In zwei Duellen mit dem Zweitligadritten SpVgg Greuther Fürth (Donnerstag, 20.30 Uhr, und Sonntag, 17.00 Uhr) entscheidet sich nun die Zukunft.

Warum der HSV endlich absteigen sollte, begründet unser Autor Ulrich Exner in seinem Plädoyer.

Jedes Mal Tränen in den Augen …

27 Punkte. Das würde schon reichen als Begründung. 27 Punkte in 34 Spielen. Neun Heimniederlagen. Neun! Jedes Mal hat mein Sohn Tränen in den Augen gehabt, wenn es wieder nicht geklappt hatte. Zwölf Auswärtsniederlagen. Aber die waren nicht ganz so schlimm, weil man es ja ohnehin nicht mehr anders erwartet hatte.

Unterm Strich ist das Ergebnis in beiden Fällen abstiegsreif: Der HSV belegt in der Heimtabelle Platz 17. Und in der Auswärtstabelle? Ebenfalls Platz 17. Macht zusammen Platz 16. Relegation. Das schafft tatsächlich: nur der HSV.

Mit Tradition, mit Dino-Mentalität wäre das jedenfalls nicht zu erklären: Dass man nach derart vielen Fehlern, nach Serien von Selbstbetrug, nach so viel Lethargie und mit einer solch langen Reihe von Nullen ohne jede Eins einfach weitermachen kann, als sei nichts gewesen. Als hätte sich der Fußballgott nur für einen Moment geirrt. Und will seine Scharte jetzt mit einem 0:0 im Volkspark und einem verdienten 1:1 am Ronhof in Fürth locker wieder auswetzen. Abstieg? Wir doch nicht!

Unerwünschte Lehren aus dem Klassenerhalt

Was aber würden wir, würde mein Sohn lernen aus einem Nichtabstieg dank Auswärtstor? Dass man gar nicht viel leisten muss, um oben zu bleiben. Dass es einem auch ohne große Anstrengung gut gehen kann. Dass es wurst ist, wie viel Fehlentscheidungen man trifft, wenn man nur aus gutem hanseatischen Hause kommt? Wenn man schon immer oben dabei war und eine teure Uhr hat? So etwas mag in die Programmpräambel der Linkspartei passen. Rote Socken statt rote Hosen.

Geld ausgeben, das man nicht hat, klappt jedenfalls hervorragend beim HSV. Bezahlt wird für alles, was laufen kann und es trotzdem bei Drei nicht in die Stammelf schafft.

„Wir sind einfach der bessere Verein“, hat Oliver Kreuzer zu Saisonbeginn posaunt, als er mal wieder einen Spieler an Land gezogen hatte, der hinterher auch nicht hielt, was man sich von ihm versprochen hatte.

Stimmt. Der besser bezahlende Verein war man auf jeden Fall. Aber dafür gibt es am Ende immer eine Rechnung. Das weiß man eigentlich in Hamburg, bei den Pfeffersäcken.

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Nur nicht beim HSV. Im Gegenteil. Vor eineinhalb Jahren suggerierte der Verein seinen Fans, sie könnten mit der Zeichnung einer Jubiläumsanleihe für eine bessere Zukunft des Vereins sorgen. Für einen HSV-Campus, auf dem endlich viele kleine Uwe Seelers gedeihen sollten.

Fußball-Internat, Leistungszentrum, toller Prospekt, schöne Bilder, Hinterkopfballtore, grandiose Zukunft. Die Hamburger zeichneten beseelt.

Und heute? Bleibt unwidersprochen, dass das eingesammelte Geld zum Teil für das laufende Geschäft ausgegeben wurde. Über den HSV-Campus soll nun „in Abhängigkeit von der sportlichen Entwicklung“ entschieden werden. Ehrbarer Kaufmann? Nicht beim HSV.

Es wimmelt vor Fehlentscheidungen

Stattdessen verteilt man lieber nach Gutdünken. Oder: Body to Body. Gleich und gleich. Fehler über Fehler. Vor einem Jahr zum Beispiel. Der HSV suchte mal wieder einen Sportchef. Zur Auswahl standen: Oliver Kreuzer, ein alter Kumpel von Trainer Fink, sowie ein gewisser Jörg Schmadtke.

Schmadtke wäre ein ziemlich unbequemer Typ gewesen für Fink, aber auch für die Hunkes und Kühnes dieser Stadt. Schmadtke versteht zwar viel vom Fußball, aber nicht so viel vom Schwadronieren. Er kauft lieber gut als teuer ein, deshalb steigt er jetzt auch gerade auf – mit den Kölnern. Wenn irgendwann mal ein Dinosaurierforscher nach jener letzten Ausfahrt sucht, die der HSV auf seinem Weg in den Abgrund verpasst hat, bei dieser Personalie könnte er fündig werden.

Diese Ausfahrt zu finden wird allerdings schwer genug. Es wimmelt in der jüngeren Geschichte des einst ruhmreichen Vereins nur so von Fehlentscheidungen. Noch ein paar Namen? Fink, van Marwijk, van der Vaart, Adler (ja, auch Adler, der eben nicht viel besser ist als Drobny, dafür aber deutlich mehr verdient).

Über die Ola Johns, Paul Scharners oder Jaques Zouas muss man hier nicht reden. Die können ja nichts dafür, dass sie der HSV geholt hat. Nein, es sind gerade die großen Namen, die dem HSV in den vergangenen Jahren den Rest gegeben haben. Und das, obwohl der Aufsichtsrat jeden einzelnen dieser Transfers, jeden einzelnen Trainervertrag erst vorveröffentlicht und dann abgesegnet hat.

Was tut eigentlich der Aufsichtsrat?

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Der Aufsichtsrat? Das sind hier in Hamburg diejenigen, die die Raute schon immer im Herzen getragen haben. Und die richtig tolle Fans geworden wären, wenn sie sich nicht selbst so furchtbar wichtig nehmen würden. Und nicht ständig mitreden müssten, weil sie sonst ja doch nicht wichtig wären.

Wobei: Reden ginge ja noch – zumal wir Journalisten ja ganz dankbar sind um jeden, der einen wichtigen Transfer, eine weitreichende Entscheidung frühzeitig durchsteckt. Das Problem ist nur: Dieser Aufsichtsrat durfte auch entscheiden. Weshalb die heiß gehandelten Klopp, Sammer, Siegenthaler lieber gleich an anderer Stelle erfolgreich wurden.

Aber mit diesem organisierten Dilettantismus ist es ja bald vorbei. Abstieg hin, Rettung her. Mit HSVPlus, der großen Vereinsreform, nach der alles besser und professioneller und erfolgreicher werden soll am Volkspark.

Man führt schon Verhandlungen mit Didi Beiersdorfer. Total geheim, weiß inzwischen jeder hier in Hamburg. Auch sonst lanciert man jede Menge große Namen, die im Fall des Falles helfen sollen beim Aufbau des neuen, alten HSV.

Vielleicht kommt ja auch noch Felix Magath dazu. Und Uwe Seeler. Und Willi Schulz. Und Peter Nogly, Kevin Keegan. Jens Lehmann, gute Güte. Nur Holger Hieronymus ziert sich, vermutlich hat er ein wenig genauer hingeguckt, worauf er sich da gerade einlassen sollte. HSVPlus, ein Zukunftsmodell mit großer Vergangenheit.

Meinem Sohn drücke ich die Daumen

Die Gegenwart: Hakan zu Bayer oder Bayern? Wahrscheinlich will er wieder ein „Signal“ setzen so kurz vor der Relegation. Lasogga nach Berlin? Wie viel Geld bringt Jansen? Arslan? Badelj? Und wer bewacht Donnerstagabend gegen Fürth eigentlich Westermann? Fragen über Fragen.

Mein Sohn wird vor dem Fernseher sitzen in seinem HSV-Trikot, auf das er immer noch stolz ist. Jede Sekunde mitfiebernd, dem Schiedsrichter jeden Pfiff gegen sein Team übel nehmend. Er wird nervös sein, ängstlich und ganz nah am Wasser.

Ich drücke ihm die Daumen. Er hätte es verdient mit seiner Leidenschaft und Leidensfähigkeit, mit seinem Kampfgeist und seinem riesengroßen Rautenherzen. Sein Verein leider nicht.

Lesen Sie hier Frank Schmiechens Gegenrede: Zehn Gründe, warum der Hamburger SV nie absteigen darf.

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