Int. Fußball

Paul Scharner über seine Zeit beim Hamburger SV

Ex-Profi ist Jugendleiter in St. Pölten

Scharner: "Wäre ich beim HSV richtig angekommen, wäre ich nicht mehr nach Wigan"

Mit dem Klapprad zum HSV: Paul Scharner, der neue Jugendleiter des SKN St. Pölten.

Mit dem Klapprad zum HSV: Paul Scharner, der neue Jugendleiter des SKN St. Pölten. picture alliance / dpa

Gleich zwei Akteure aus dem in Purgstall ansässigen, siebenköpfigen "Team Scharner" (Marlene & Paul und ihre fünf Söhne, allesamt Fußballer) knien sich beim SKN St. Pölten rein. Benedict (17) ist am besten Weg zum Stammspieler im Zweitliga-Team und darüber hinaus ÖFB-U-18-Teamspieler. Paul (42) fungiert als Jugendleiter, oder wie er selbst sagt, als "Leiter der Nachwuchsarbeit". Und Paul Pius (14) ist als Torhüter der vereinsunabhängigen Akademie St. Pölten auch nicht weit vom Schuss.

Während Benedict mit den Öffis nach St. Pölten pendelt, wie einst Paul in Hamburg mit der U-Bahn, S-Bahn und Klapprad zum HSV, düst der nunmehrige SKN-Nachwuchs-Chef mit dem Auto von einem Spiel zum nächsten. Scharner war auch schon bei den Nachwuchs-Trainingslagern in Verona (mit den Großfeldteams) und Mattighofen (Kleinfeldteams) mit dabei. Nur zum Zweitliga-Team hat er es aus Zeitgründen bislang noch nicht geschafft: "Aber warum soll ich mir die Profis anschauen, wenn ich für die Jugend zuständig bin?"

Machtkampf Fink/Arnesen nicht förderlich

Auch bei seinem primären Ziel kommt Scharner im Gespräch mit dem kicker gleich auf den Punkt: "Ich will regelmäßig Spieler entwickeln, die für unsere Profis interessant sind. Alles andere ist mir wurscht. Es ist mir völlig egal, wie hoch wir welches Nachwuchsspiel gewinnen." Jeder Spieler müsse ein "eigenes Projekt" sein. Das wissen Scharner und seine Gattin auch als gemeinsame Leiter von "Lighthouse - Partners for Life", einer Agentur, die angehende Profifußballer begleitet. Dort sieht sich Scharner vornehmlich "als Mentor" der Spieler.

Erlebt hat Scharner in seiner Karriere genug. Negativerfahrungen können auch Positives bewirken: "Wäre ich beim HSV richtig angekommen, wäre ich nicht mehr zu Wigan Athletic zurück und nie FA-Cup-Sieger geworden." Ein Machtstreit zwischen Trainer Thorsten Fink und Manager Frank Arnesen, der ihn geholt hatte, war damals nicht förderlich für Scharner, der als Stabilisator für den Abstiegskampf verpflichtet worden war. "Zu dem kam es dann auch nicht", weiß Scharner. Der HSV erreichte 2012/13 letztlich fast die Europa League.

Ferguson einen Korb erteilt

2008 wiederum hätte ihn Sir Alex Ferguson zu Manchester United lotsen wollen. Jedoch als Innenverteidiger - das wollte Scharner nicht. Steve Bruce, sein Wigan-Trainer, Ferguson-Vertrauter und United-Ikone, habe nur noch den Kopf geschüttelt. "Aber wahrscheinlich war das damals schon eine unbewusste Entscheidung für die Familie", sinniert Scharner, "wenn du United-Spieler bist, bist du über 300 Tage im Jahr nie richtig daheim." Nachsatz: "Dass wir nach dem Ende meiner Karriere noch ein Jahr in Hamburg geblieben sind, war auch eine Familienentscheidung. Dort hat es uns am besten gefallen."

Für den Job beim SKN war Scharner nun nach einem Gespräch mit dem Geschäftsführer Wirtschaft, Matthias Gebauer, schnell Feuer und Flamme: "Generell aus Liebe zur Jugend. Aber auch als ehemaliger Spieler vom VSE St. Pölten. Für mich war das damals, 1993 bis 1996, auch der erste Schritt raus aus Purgstall, bevor der Verein dann in Konkurs gegangen ist und ich zur Austria gewechselt bin. (kurze Pause) Schade eigentlich, dass sich so wenige Ex-Spieler Zeit für die Jugend nehmen. Viele wollen offenbar lieber gleich irgendwo oben (reißt beide Hände in die Höhe) einsteigen."

Mit Schlaudraff und Pogatetz im Team

Mit dem Geschäftsführer Sport, Jan Schlaudraff, und dem Trainerduo Stephan Helm und Emanuel Pogatetz ist Scharner auf einer Wellenlänge. Middlesbrough-Legende Pogatetz, alias "Mad Dog", ist nach Scharner (221 Spiele) und Marko Arnautovic (184) der Österreicher mit den drittmeisten Einsätzen in der Premier League (116).

"Unser Auftrag ist, dass der SKN ein Magnet wird", sagt Scharner. Die Nummer eins Niederösterreichs zu sein, sei noch dazu im Zentrum des Bundeslandes eine Selbstverständlichkeit. Orientieren möchte er sich an der Nachwuchsarbeit der englischen Football Association, die alle paar Monate Qualitätsprüfungen in den Nachwuchsabteilungen ihrer Klubs durchführen lässt, und am Schweizer Weg. "Denn dort wollen alle Klubs Spieler für die 'Nati' produzieren. Es muss auch ein Ziel von uns sein, österreichische Teamspieler zu produzieren. Es kann nicht sein, dass hier jeder immer sein eigenes Süppchen kocht."

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In den nächsten Monaten möchte Scharner vornehmlich den SKN-Nachwuchs fit für eine eigene Vereinsakademie machen, um 2023 oder 2024 in den ÖFB-Nachwuchsligen einzusteigen: "Derzeit habe ich leider noch sehr viel administrative Aufgaben zu erfüllen. Aber ich will ja auch unsere Trainer freispielen, damit die nur ja keine Energie für ihre Kernaufgaben verlieren."

An manchen Tagen investiert Scharner zehn bis 14 Stunden Zeit, viel davon im Home Office. Deswegen sieht er aus dem "Team Scharner" kurioserweise seinen SKN-Klubkollegen Benedict aktuell fast am wenigsten. Auch nicht am Wochenende. Am Samstag kickte Benedict für die ÖFB-U-18 in Schweden, während Paul auf der Insel für seinen Ex-Klub West Bromwich beim "Clash of the Legends" auflaufen durfte - betreut von Tony Mowbray und Roberto Di Matteo, angefeuert von vier Scharners.

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