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Meinung Faszination Zweite Liga

Von wegen Friedhof des Fußballs

BREMEN, GERMANY - FEBRUARY 19: Head coach Ole Werner of Werder reacts during the Second Bundesliga match between SV Werder Bremen and FC Ingolstadt 04 at Wohninvest Weserstadion on February 19, 2022 in Bremen, Germany. (Photo by Joern Pollex/Getty Images) BREMEN, GERMANY - FEBRUARY 19: Head coach Ole Werner of Werder reacts during the Second Bundesliga match between SV Werder Bremen and FC Ingolstadt 04 at Wohninvest Weserstadion on February 19, 2022 in Bremen, Germany. (Photo by Joern Pollex/Getty Images)
Eine der Attraktionen in Liga zwei: Werders Trainer Ole Werner
Quelle: Getty Images
Der Abstieg fühlt sich immer an wie ein kleines Stück Tod. Dabei hat es der Thrill der Zweiten Liga in sich. Keiner weiß, wie es ausgeht. Das macht das Unterhaus des deutschen Fußballs weitaus spannender als die Eliteklasse.

Nils Petersen lässt normalerweise seine Tore für sich sprechen, wie am Samstag wieder, beim Sieg in Augsburg. Manchmal meldet sich der Freiburger aber auch selbst zu Wort und sagt dann beispielsweise: „Wenn im Fernsehen die Premier League übertragen wird, lechze ich dem nicht hinterher. Da gucke ich lieber Zweite Liga.“

Nichts ist spannender. Die englische Paradeliga kann da einpacken, und die Bundesliga sowieso: Wenn der FC Bayern in der Allianzarena auf den Tabellenletzten Fürth trifft wie gestern, kann man im Wettbüro bedenkenlos sein komplettes Vermögen setzen – wenn aber Werder Bremen in der Zweiten Liga das Schlusslicht Ingolstadt empfängt, ist man hinterher bettelarm.

Dabei war die Sache eigentlich glasklar: Ole Werner, der Trainer, würde den historisch wertvollen „Rehhagel-Rekord“ brechen. Otto Rehhagel hatte seine Bremer Trainerära in der Saison 1980/81 mit acht Siegen in Folge begonnen. Nach „König Otto“ nun also „König Ole“.

Kein Bierchen

„Machen Sie hinterher einen kleinen Piccolo auf?“, fragte der Sky-Interviewer vor dem Anpfiff. „Piccolo ist nicht mein Ding“, wehrte Ole ab. Man hat sich dann auf ein kleines Bierchen geeinigt. Aber aus dem wurde dann auch nichts. Sicher ist in dieser Liga gar nichts.

Vor allem nicht, wer am Ende das Rennen macht. Sieben Bewerber stehen Schlange, außer Werder der HSV, Darmstadt 98, der FC St. Pauli, Schalke 04, Heidenheim und der 1. FC Nürnberg. Dem Kopf-an-Kopf-Rennen droht ein Zielfoto-Entscheid, denn es ist eingetreten, was der Bremer Trainer Markus Anfang dem Unterhaus des deutschen Fußballs schon vor der Saison angesehen hat: „Jeder kann gegen jeden gewinnen.“

Werders Niklas Schmidt (l., im Duell mit Ingolstadts Dominik Franke) freut sich über die Tabellenführung
Werders Niklas Schmidt (l., im Duell mit Ingolstadts Dominik Franke) freut sich über die Tabellenführung
Quelle: dpa

Der Thrill geht sogar so weit, dass sich jeder selbst schlagen kann, der Trainer Anfang hat es vorgemacht. Eines Morgens kreuzte die Polizei bei Werder mit einem Hausdurchsuchungsbefehl auf und führte Anfang als Impfpassfälscher ab. Den Bremern hat die Sache gutgetan, der Nachfolger Werner wirkt wie ein Schuss in den Oberarm, er hat sie geboostert, und Ex-Stürmer Martin Harnik könnte Recht behalten. Vor der Saison verriet der einem TV-Mikrofon: „Für Werder kann das eine geile Saison werden.“

So weicht der erste Schock der Vorfreude: Endlich wird nicht mehr jede Woche verloren, es geht plötzlich wieder um Titel und Aufstieg. Die Fans sehen zwar keine erstklassigen Zauberer mehr, dafür aber zweitklassige Verlierer, die die Schande des Absturzes nicht auf sich sitzen lassen.

Erinnern Sie sich an Guido Burgstaller? Der brachte es in seiner Blütezeit als Torjäger auf 25 Länderspiele für Österreich, geriet dann vor zwei Jahren in Schalke aufs Abstellgleis und ist jäh einen Stock tiefer auf dem Kiez in St. Pauli gelandet. Dort erwartet seither keiner, dass er ihnen den Lewandowski oder den Haaland macht, aber der alternde Austrianer zerreißt sich, kämpft, flucht und schießt so scharf, dass sein Trainer Timo Schultz sagt: „Er hat eine gewaltige Ausstrahlung auf seine Mitspieler, aber auch auf seine Gegenspieler.“ Wenn sie Burgstaller in die Augen schauen, ist das wie ein Blick in die Mündung einer doppelläufigen Flinte. Dass er dabei auch mal einen Elfer auslässt wie Sonntag gegen Hannover – geschenkt.

Tore gegen den Frust

Auch Simon Terodde ist einer von gestern, er wartet in Schalke einfach auf den hohen und langen Ball. Im Oberhaus hat er sich nie durchgesetzt, es fehlt ihm das kleine Etwas, deshalb hat er seinen Stempel weg: Zweite Klasse. In der beweist er auch dieses Jahr wieder, dass er auf seine Art erstklassig ist, er ist wieder auf dem Weg zur Torjägerkanone und schießt sich den Frust von der Seele.

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Vermutlich decken sich seine Gefühle mit denen von Torsten Lieberknecht. Der galt vor Jahren noch als Shootingstar unter den Trainern und war mit Eintracht Braunschweig ganz oben, ehe sein Stern verglühte. Jetzt kommt der Gefallene in Darmstadt wieder aus dem Nichts und sagt: „Ich bin heiß.“

18.02.2022, Nordrhein-Westfalen, Gelsenkirchen: Fußball: 2. Bundesliga, FC Schalke 04 - SC Paderborn, 23. Spieltag, Veltins Arena: Schalkes Simon Terodde klatscht in die Hände. Foto: David Inderlied/dpa - WICHTIGER HINWEIS: Gemäß den Vorgaben der DFL Deutsche Fußball Liga bzw. des DFB Deutscher Fußball-Bund ist es untersagt, in dem Stadion und/oder vom Spiel angefertigte Fotoaufnahmen in Form von Sequenzbildern und/oder videoähnlichen Fotostrecken zu verwerten bzw. verwerten zu lassen. +++ dpa-Bildfunk +++
Er trifft und trifft und trifft: Schalkes Simon Terodde
Quelle: dpa

Die Zweite Liga ist nicht zwangsläufig der Friedhof des Fußballs, sie kann genauso gut ein Ort für die Wiedergeburt sein. Wer steigt auf? „Im Leben muss man mit allem rechnen, auch mit dem Guten“, philosophiert Frank Schmidt. Seit demnächst 15 Jahren ist er Trainer beim 1. FC Heidenheim, und vor zwei Jahren, in der Relegation gegen Werder, war der schwäbische Provinzklub schon einmal ganz nah an ganz oben dran.

Im Moment lauert Schmidt auf Platz sechs und sieht wieder aus wie in der packenden TV-Doku „Trainer“ – in der tobt er durch die Kabine, die Augen treten ihm aus dem Kopf, und mit geschwollenen Schläfen brüllt er: „Wir reißen uns heute den Arsch auf, Männer!“

So ist Schmidt, und so spielen seine Heidenheimer. Aber so spielen überhaupt viele in dieser Liga, man muss sie umbringen, um sie zu besiegen. Der HSV hat am Samstag in Sandhausen nur 1:1 gespielt, doch Trainer Tim Walter sah am Ende erleichtert aus, er wusste schon vorher, was ihn erwartet: „Viele lange Bälle, hitzige Stimmung, viel Zweikampf.“ Das Nord-Derby nächsten Sonntag verspricht allerdings auch kein langweiliges Wattepusten. Werder kommt.

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