Bundesliga

Soll der Profifußball bald wieder loslegen?

Der Versuch einer differenzierten, kommentierenden Aufarbeitung

Soll der Profifußball bald wieder loslegen?

Dem Profifußball wird eine Entkoppelung vom Rest der Gesellschaft unterstellt.

Dem Profifußball wird eine Entkoppelung vom Rest der Gesellschaft unterstellt. imago images

Die Kritik an den finanziellen Auswüchsen im Profifußball war auch bisher nicht leise. Ablösesummen im dreistelligen Millionenbereich, unmoralisch hohe Honorare für Spielerberater, Steuerhinterziehungen von Superstars, Korruptionsskandale, halbseidene und teilweise illegale Geschäfte - viele Protagonisten haben dem Ansehen dieser so wunderbaren Sportart großen Schaden zugefügt. Der Wunsch, die Bundesliga trotz der Corona-Krise im Mai fortzusetzen, ist nun der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Es gibt einen Sturm der Entrüstung. Seitens einzelner Politiker und Medien, aber auch einem Teil der Fans, wobei die meisten Anhänger die Fortsetzung der Saison laut einer aktuellen Umfrage von IRIS und auch Aussagen der Organisation "ProFans" befürworten.

Der Zeitpunkt, den Vertretern dieser Milliardenbranche eins auszuwischen, scheint günstig. Differenzierte Betrachtungen fallen dabei allzu oft unter den Tisch. Im Kern kristallisieren sich vier Kritikpunkte heraus: die geplante Inanspruchnahme von etwa 20.000 Corona-Tests, das in Kauf nehmen des Ansteckungsrisikos bei direktem Körperkontakt auf dem Feld, fehlende finanzielle Rücklagen der Klubs und die prozentual gesehen geringen Gehaltsverzichte der Profis. Die Kritik ist berechtigt, doch so klar, wie manches auf den ersten Blick scheint, ist es bei näherer Betrachtung nicht.

Corona-Tests:

Es hört sich unverhältnismäßig an, wenn der Profifußball 20.000 Corona-Tests für sich beanspruchen möchte. Ein Blick auf die insgesamt gegebenen Testkapazitäten relativiert diese Forderung jedoch. Zuletzt wären wöchentlich 640.000 Tests möglich gewesen, durchgeführt wurden aber nur 260.024. Der Profifußball hätte also niemandem etwas weggenommen. Richtig ist, dass Personal im medizinischen Bereich und in der Altenpflege Vorrang haben muss. Dass wegen fehlender Schutzkleidung und nicht durchgeführter Corona-Tests das Virus den Weg in so viele Pflegeheime finden konnte und Menschen tötete, ist skandalös. Sollten die Mitarbeiter in diesen Bereichen künftig alle Testkapazitäten ausschöpfen, hat der Profifußball das Nachsehen. Solange jedoch wöchentlich Hunderttausende mögliche Tests nicht durchgeführt werden, ist es moralisch nicht verwerflich, wenn der Profifußball einen Teil dieser Lücke ausfüllt.

Körperkontakt der Spieler:

Das ist der vielleicht heikelste Punkt, denn selbst häufige Tests bieten wohl keine 100-prozentige Sicherheit. Keuchende Profis, die ihre Kontrahenten bei Standardsituationen in Manndeckung nehmen - ob das medizinisch wirklich vertretbar ist, müssen Experten entscheiden. Hinzu kommt: Wieso soll für den Rest der Bevölkerung ein striktes Kontaktverbot unter Androhung von Strafe gelten, für den Profifußball aber nicht? Diese Argumente lassen sich nicht entkräften. Aber sind sie stark genug, um die Wiederaufnahme des Spielbetriebs zu verbieten? Ansichtssache. Denn auch beim Profifußball handelt es sich um einen Beruf, nicht um ein Hobby. Und auch für die meisten anderen Branchen müssen, sofern noch nicht geschehen, auf Sicht medizinisch vertretbare Lockerungen her, um die Bundesrepublik nicht in den Ruin zu treiben und eine Massenarbeitslosigkeit abzuwenden. Ein dauerhaftes Leben im Ausnahmezustand ist kaum vorstellbar. Der Profifußball könnte Millionen Menschen ein kleines Stück Normalität in den Alltag zurückbringen, selbst wenn nur Geisterspiele stattfinden, die jede Fanseele schmerzen.

Fehlende Rücklagen:

Der deutsche Fußball hat sich oft gerühmt für sein in der Selbstwahrnehmung vorbildliches Lizenzierungssystem. Spätestens jetzt zeigt sich: Es muss nachjustiert werden. Dass einige Klubs in existenzielle Nöte geraten, wenn nur eine einzige Fernsehgeldtranche ausbleibt und ein paar Spiele verschoben werden, dokumentiert den schmalen Grat, auf dem zu viele Klub-Bosse wirtschaften. Die Kritik daran ist berechtigt. Teilweise aber auch doppelzüngig. Man stelle sich vor, ein Klub steckt zur Winterpause im Abstiegskampf, sitzt auf 20 Millionen Euro und verzichtet auf Verstärkungen. Der Aufschrei wäre groß.

Eine Lösung könnte so aussehen, dass die Deutsche Fußball Liga von den Klubs im Lizenzierungsverfahren mehr Liquidität einfordert. Vereinsbosse müssten beispielweise nachweisen, dass sie auch dann ihren wirtschaftlichen Verpflichtungen nachkommen können, wenn eine Tranche des Fernsehgeldes ausfällt. Das würde eine Senkung der Gehälter und Ablösesummen nach sich ziehen und die Bundesliga im internationalen Vergleich womöglich schwächen. Diese Kröte müsste man schlucken. Eine andere Möglichkeit wäre die Gründung eines Fonds, in den alle Profiklubs einen gewissen Prozentsatz ihres Jahresumsatzes einzahlen. Doch wäre das gerecht? Würden im Krisenfall jene Klubs besonders profitieren, die vorher schlecht gewirtschaftet haben? Einfache Lösungen gibt es nicht, doch nach der Krise muss sich etwas ändern. Aufgrund der exorbitanten Einnahmen ist es möglich, sich besser vor Turbulenzen zu schützen. Ein Anfang wäre gemacht, die Verpfändung von künftigen Einnahmen zu untersagen.

Bei aller Kritik lohnt sich ein Blick auf andere Teile der Wirtschaft. Große Unternehmen und Milliardenkonzerne, die Boni in Millionenhöhe an ihre Manager und Dividenden an ihre Aktionäre ausschütten, werden vom Steuerzahler gerettet werden müssen. Ist das gerecht? Derlei Gedanken lassen das schlechte Wirtschaften einiger Klubs nicht in einem besseren Licht erscheinen, zeigen aber: Das Eingehen von Risiken beschränkt sich nicht auf den Profifußball.

Gehaltsverzichte:

Heikles Thema. Es könnte so leicht sein. Würden alle Profifußballer in einer großen Solidaraktion erklären, bis zum Ende der Corona-Krise komplett oder zum Großteil auf ihre Gehälter zu verzichten, wären die Klubs ihre größten Sorgen los. Am Hungertuch nagen müsste keiner. Gehaltsverzichte von 10, 20 oder 30 Prozent klingen bei Millionären eher knauserig und nicht sehr solidarisch.

Nüchtern betrachtet verhält es sich jedoch so: Kann die Saison nicht fortgesetzt werden, zieht das zwangsläufig drastischere Einschnitte bei den Gehältern nach sich, um Insolvenzen abzuwenden. Wird die Spielzeit beendet, haben die Profis die Leistung, für die sie bezahlt werden, erbracht. Die Fernsehgelder würden fließen. Warum sollten sie in diesem weiterhin möglichen Best-Case-Szenario auf große Teile ihrer Gehälter verzichten? Es drängt sich der Verdacht auf, dass Neid die Debatte um die Gehälter durchdringt. Kein gutes Zeichen.

Was bei der Kritik an den Profis unter den Tisch fällt: Sie zahlen sehr hohe Steuern und leisten damit - rein monetär gesehen - für die Gesellschaft mehr als fast alle anderen Bürger. Der DFL-Wirtschaftsreport 2019 dokumentiert: In der Saison 2017/18 führten die 36 Profiklubs 1,28 Milliarden Euro an Steuern und Abgaben an das Finanzamt sowie die Sozial- und Unfallversicherungen ab. Dafür muss sich niemand auf die Schulter klopfen, unsere Gesellschaft beruht darauf, dass derjenige, der viel hat auch viel gibt. Dieser Umstand darf in der aktuell hitzig geführten Diskussion aber durchaus Erwähnung finden, ebenso wie die 56.000 Arbeitnehmer, die im Lizenzfußball direkt und indirekt beschäftigt sind.

Was bleibt als Fazit?

Seit Beginn der Einschränkungen wünschen sich alle von der Corona-Krise betroffenen Wirtschaftszweige eine schnellstmögliche Rückkehr zur Normalität. Viele Unternehmer fürchten um ihre Existenz, Arbeitnehmer um ihre Jobs, trotz Kurzarbeitergeld verlieren jeden Tag Menschen ihre Arbeit und haben schlaflose Nächte. Es ist eine furchtbare Zeit. Soll der Profifußball also wirklich so schnell wieder den Betrieb aufnehmen? Unbedingt. Doch das gilt auch für andere Bereiche der Wirtschaft, die nicht so sehr in der Öffentlichkeit stehen wie der Fußball. Immer unter der Prämisse: Es muss medizinisch vertretbar sein.

Nur eines darf nicht geschehen: Infektionen dürfen nicht vertuscht werden. Im zur Diskussion stehenden Konzept der DFL und des DFB steht Verhängnisvolles: "Keine automatische Meldung eines positiven Falles an die Presse, da Krankheitsverifizierung sowie die klare Dokumentation der vermutlichen Übertragungswege im Vordergrund stehen." Als würde Transparenz dies ausschließen. Um Akzeptanz für die Wiederaufnahme des Spielbetriebes herzustellen, ist völlige Offenheit nötig. Wenn der Fußball das nicht versteht, muss er verboten bleiben.

Noch bleibt allen Fußballfreunden die Hoffnung, dass die Wettbewerbe regulär zu Ende gespielt werden können. Was wäre es für eine sportliche Tragödie, sollte - nur ein Beispiel - der FC Liverpool am Ende dieser großartigen Spielzeit ohne Titel dastehen?

Julian Franzke