Die nette Geste galt den Derbyhelden von 2011. Der FC St. Pauli hatte sämtliche Spieler der Mannschaft eingeladen, die 2011 sensationell 1:0 im Volkspark triumphiert und sich in den Augen der Braun-Weißen unsterblich gemacht hatte. „Es ist ein wichtiges Spiel für uns, es geht um die Stadtmeisterschaft“, sagte Max Kruse, der vor acht Jahren beim Sieg dabei war und inzwischen sein Geld bei Werder Bremen verdient. Er sprach tatsächlich immer noch von „wir“: „Wenn wir gewinnen, sind wir sieben Punkte weg von Rang fünf.“
Allein: Kruses direkt vor dem Anpfiff geäußerter Wunsch sollte sich am Sonntagmittag am Millerntor nicht erfüllen. St. Pauli unterlag im eigenen Stadion dem Hamburger SV 0:4 (0:1) und erlitt einen heftigen Dämpfer im Kampf um den Aufstieg. Als Vierter liegt der Kiez-Klub nun vier Punkte hinter dem Dritten Union Berlin. Der HSV darf hingegen nach dem ersten Derby-Sieg seit 2002 (auch damals gab es ein 4:0) mehr denn je auf die Rückkehr in Deutschlands Fußball-Eliteklasse hoffen. Mit 50 Zählern ist das Team von Trainer Hannes Wolf Zweiter.
„Wir brauchten den Dosenöffner“
„Wir sind sehr, sehr erleichtert“, sagte HSV-Mittelstürmer Pierre-Michel Lasogga nach der Partie. „Wir hatten uns viel vorgenommen, nachdem das Hinspiel nicht so ausgegangen war, wie wir uns das vorgestellt hatten. Auswärts zu gewinnen, ist fast noch geiler als zu Hause. Wir waren alle füreinander da und haben gekämpft. Wir wollten dieses Derby unbedingt gewinnen.“
Lasogga war maßgeblich am Sieg beteiligt, er schoss das 1:0 zur Halbzeitführung und legte mit dem 3:0 in der zweiten Hälfte nach. „Wir brauchten den Dosenöffner mit dem 1:0. Das hat uns ein bisschen Platz verschafft. Die ganzen HSV-Fans haben sich nach diesem Sieg gesehnt“, sagte der Matchwinner.
Ehe die HSV-Profis über den höchsten Saisonerfolg in der Zweiten Liga jubeln durften, verging allerdings einige Zeit. Zweimal war das Spiel wegen des Bengalo-Einsatzes einiger Fans unterbrochen, in der 82. Minute stand die Partie nach einem abermaligen Zündeln im Block der St. Pauli-Ultras sogar vor dem Abbruch. Schiedsrichter Felix Brych beorderte beide Mannschaften für fünf Minuten vom Feld, dann erst wurde das Spiel fortgesetzt. „Es war ein heißes Derby, schon an der Grenze“, sagte Brych später. „Es war die letzte Warnung an alle, dann waren alle Mittel ausgeschöpft.“
Glücklicherweise blieb es in der Fanblöcken hinterher tatsächlich ruhig. Auch weil einige St. Pauli-Fans den eigenen Hardcore-Anhängern deutlich die Meinung geigten: „Ihr seid scheiße – wie der HSV“, halte es durchs Stadion. „Was hier und heute passiert ist, geht ganz klar zu weit“, monierte Geschäftsführer Andreas Rettig. „Heute haben uns leider einige einen Bärendienst erwiesen. Ich kann nur sagen: ‚Entschuldigung, HSV!‘“
„Da schalten dann alle Lichter aus“
Die Brandaktion auf den Rängen war auch deshalb komplett überflüssig, weil die Partie zu jenem Zeitpunkt längst entschieden war. Lasogga hatte nach einem Freistoß von Aaron Hunt, der an die Latte gegangen war, den Abpraller per Kopf ins Tor befördert (32.) und hernach zum 110-Meter-Sprint in die HSV-Kurve angesetzt. „Da schalten dann alle Lichter bei mir aus. Ich musste einfach dahin rennen“, sagte der Torschütze hinterher bei Sky. Der Treffer reichte zur verdienten Halbzeitführung und bot schon mal mehr Unterhaltung als das niveaulose Hinspiel, das 0:0 geendet hatte.
Zwar besaß St. Pauli nach dem Wechsel bei einem Schuss von Ryo Miyaichi, den Julian Pollersbeck im HSV-Tor prächtig parierte, die Chance zum Ausgleich. Die weiteren Tore fielen aber auf der anderen Seite. Nach Vorarbeit des überragenden Orel Mangala scheiterte Berkay Özcan zunächst an Keeper Robin Himmelmann, den Abpraller aber beförderte Khaled Narey in den Kasten der Gastgeber (53.). Acht Minuten später ließ Lasogga die Entscheidung folgen, als er per Abstauber traf. Und als sich alle mit dem Endergebnis abgefunden hatten, traf HSV-Linksverteidiger Douglas Santos per Fernschuss zum
„Der HSV war in allen Belangen besser“, sagte Rettig. Und der in der Winterpause ans Millerntor zurückgekehrte Stürmer Alexander Meier, der diesmal leer ausgegangen war, erklärte: „Natürlich ist der Frust riesengroß, aber heute war es einfach hochverdient, der HSV war die bessere Mannschaft. Jetzt müssen wir ein, zwei Tage trauern, dann geht’s weiter.“
Komplett anders stellte sich die Gefühlslage im HSV-Lager da: „Wir wussten, dass es ein besonderes Spiel für die Fans ist, das ist es, was zählt“, sagte Trainer Wolf nach der Partie. Er stand nach zuletzt eher mäßigen Leistungen der Seinen unter besonderer Beobachtung – und durfte erleichtert feststellen: „Aufgrund der vergangenen Monate war nicht mit einem 4:0 zu rechnen. Es war rundherum eine sehr gute Leistung. Gut, dass wir genau an diesem Tag so gut gespielt haben.“