Wenn der HSV es in diesen trüben Zeiten überhaupt zu einer Meisterschaft gebracht hat, dann zu jener, einen zarten Spross Hoffnung sprießen zu lassen, um ihn dann mit riesigen Dino-Latschen brutal zu zertrampeln. Wie oft sollte es nicht schon besser werden: Als die Profiabteilung aus dem Gesamtverein ausgegliedert wurde (2014), als Dietmar Beiersdorfer den glücklosen Vorstandsvorsitzenden Carl-Edgar Jarchow ablöste (2014), als Heribert Bruchhagen den glücklosen Beiersdorfer ablöste (2016). Bei jedem der sieben Trainer, der in den vergangenen acht Jahren kam, bei jedem Schwur in der Sommerpause: Jetzt wird es besser, hieß es stets. Wurde es aber nie.
Nun also Christian Titz, dritter Übungsleiter der laufenden Saison, erster Trainer nach dem Beben, das Vorstandschef Beiersdorfer, Sportchef Jens Todt und Titz’ Vorgänger Bernd Hollerbach hinwegfegte. Mutig war er, der vormalige Amateurtrainer, hatte etablierte Spieler aus dem Kader sortiert und andere auf die Bank gesetzt, hatte die Torhüter getauscht und jungen Akteuren eine Chance gegeben. Die jüngste Startformation seit 1974 stand auf dem Feld.
Und tatsächlich schien Titz einen funktionierenden Hebel gefunden zu haben. Die erste Halbzeit gegen Hertha BSC gehörte zu den besten der Saison. Der HSV stand hoch, presste früh und ging sogar durch Douglas Santos in Führung. Julian Pollersbeck im Tor hielt klasse, weitere Chancen wurden rausgespielt. Sollte es tatsächlich noch eine Wende geben in dieser verkorksten Saison? Mitnichten.
Die Hamburger ließen sämtliche Courage in der Kabine. Plötzlich misslang alles, was zuvor geklappt hatte, und das Titz-Team fiel zurück in jenes hilflose Gestolper, das sich wie ein roter Faden durch die vergangenen Jahre zieht. Hertha traf ohne große Anstrengung zweimal binnen sieben Minuten, gestattete dem nun völlig konsternierten Gegner keine Torchance mehr und reisten mit einem 2:1 und drei locker verdienten Punkten zurück in die Hauptstadt. Sie hinterließen ein Trümmerfeld.
Nicht im Stadion, aber Privatfotos posten
Denn in Hamburg haben nun endgültig jene Gärprozesse eingesetzt, die einen Abstieg begleiten können, aber nicht zwangsläufig müssen – siehe Köln. Während es am Rhein ruhig bleibt, raucht es an der Elbe gewaltig. Mittelfeldspieler Walace, der von Titz aus dem Kader gestrichen worden war, erschien nicht wie angeordnet im Stadion und postete stattdessen zeitgleich Privatfotos, ihm droht eine Strafe. „Das Verhalten akzeptieren wir nicht“, sagte Titz.
Abwehrchef Kyriakos Papadopoulos, den der neue Trainer auf die Bank verbannt hatte, machte seinem Ärger über die Degradierung noch in den Katakomben Luft: „Dass man die Erfahrenen, die letzte Saison den Klassenerhalt geschafft haben, nicht in die Mannschaft nimmt, kann ich nicht verstehen. Diese Aktion, immer etwas Neues zu versuchen, ist nicht das Beste“, grollte er und deutete an, dass er in der zweiten Liga wenig Lust verspüre, noch für den HSV zu spielen.
Er ließ dann noch wissen, dass der Trainer mit ihm nicht über seine Reservistenrolle gesprochen habe, er nun aber auch nicht das Gespräch suchen werde. „Es hat die Erfahrung gefehlt, das 1:0 über die Runden zu bringen“, schmollte Papadopoulos, der in den vorangegangenen 13 Spielen immer dabei gewesen sei. Gewonnen, das soll nicht unerwähnt bleiben, hat der HSV davon allerdings nicht eines.
„So geht das nicht“
Die Replique von höchster Stelle ließ natürlich nicht lange auf sich warten. Frank Wettstein, nach Bruchhagens Entlassung erster Mann im HSV-Staate, knöpfte sich den aufmüpfigen Griechen vor: „Ich stehe voll hinter den Maßnahmen vom Trainer. Papadopoulos hat sich und uns keinen Gefallen getan. Er hat nicht das Recht, die sportliche Situation zu ignorieren. Wir werden das nicht tolerieren.“ Und auch Trainer Titz runzelte die Stirn: „Er hat sich ein Verhalten erlaubt, das so nicht geht. Das haben wir intern klar besprochen. Jetzt werden wir uns mit ihm austauschen. Dem möchte ich nicht vorgreifen.“ Welche Sanktionen dem Führungsspieler drohen, ist offen.
Das Problem mit „Papa“ ist allerdings bei weitem nicht das einzige des HSV – und auch nicht das größte. Nach dem Berlin-Spiel kam es zu Ausschreitungen in und außerhalb des Stadions. Bislang hatten die Anhänger es bei Gepöbel, Hassplakaten und Pyroeinsatz belassen. Diesmal aber schlug die Enttäuschung in Gewalt um.
Nach dem Spiel hatten sich mehrere Anhänger im Block der Ultras untereinander geprügelt. Ein versuchter Platzsturm einiger Vermummter wurde von den Ordnungskräften und der Polizei unterbunden. Mehrere Randalierer wollten danach über den Zugang an der Ostseite der Arena ins Stadioninnere eindringen; offenbar, um in den Kabinentrakt zu gelangen. Das verhinderten die Sicherheitskräfte, es kamen Schlagstöcke und Pfefferspray zum Einsatz.
Neun Verletzte durch Randale
Einige Randalierer wurden am Rande eines Trainingsplatzes festgesetzt, um ihre Personalien aufzunehmen. Neun Personen wurden verletzt: Sechs Ordner, eine Polizeibeamtin und zwei Fans. „Das ist nicht tolerierbar. Wir sind in engem Austausch mit den Sicherheitskräften und werden alles Mögliche tun, um solche Störer künftig nicht mehr in unserem Stadion zu haben“, sagte Vorstandschef Wettstein: „Wir bedauern es sehr, dass es zu Verletzungen gekommen ist.“
Es fällt zunehmend schwer, noch an die HSV-Rettung zu glauben. Denn wo sollen sie noch ansetzen? Zwei Wochen Zeit bleiben dank der Länderspielpause nun, um am letzten Strohhalm zu basteln. „Wir können natürlich auch die Tabelle lesen. Aber noch ist nicht der Moment gekommen, in dem man sagt: ‚Das ist nicht mehr möglich‘. Es wird halt immer schwieriger“, sagte Wettstein. Der nächste Gegner ist der VfB Stuttgart. Die übrigen Stationen der Abschiedstournee: Schalke (H), Hoffenheim (A), Freiburg (H), Wolfsburg (A), Frankfurt (A) und Mönchengladbach (H).