Es war kurz nach 12 Uhr Sonntagmittag. Ort: Hamburg Bahrenfeld, Trabrennbahn, eine zeltartige Kuppel war der Veranstaltungsort für die Jahreshauptversammlung des Hamburger SV 2018. Der amtierende Präsident des HSV e.V., Jens Meier, redete gerade über „Altlasten, die konsequent aufzuarbeiten waren“, lobte Sportarten wie Beachvolleyball, im Hintergrund lief ein Film mit Eiskunstlauf und Profifußball-Youngster Fiete Arp, als der alte Vorstandsboss (2003 bis 2011), Bernd Hoffmann, es nicht mehr aushielt. Seine Ausführungen wären am Thema vorbei, knurrte er in Richtung Meier. Der Herausforderer für das Präsidentenamt der Rothosen wollte über das desolate 1:2 des HSV gegen Bayer Leverkusen am Vortag im heimischen Volkspark reden.
Der 55-Jährige, jovial im Auftritt, wie stets adrett gekleidet, dunkelblaues Sakko, weißes Hemd, oberer Knopf offen, legte nach. Er wolle „alles“, sagte er auf die Frage, ob das neue Amt nicht nur der Türöffner wäre, somit wieder über einen Seiteneinstieg Nummer eins im operativen Geschäft zu werden. Es ginge um eine „Ordnung von oben“, gab er frank und frei einen geplanten Richtungswechsel an der Führungsspitze zu, ohne selbstverständlich selber auf das Amt des bezahlten AG-Chefs zu schielen. „Nein, ich strebe keinen Vorstandsjob an“, versicherte Hoffmann später bei seiner Präsentation. Der ehrenamtliche Präsident des e.V stellt automatisch einen von sechs Aufsichtsräten der AG und kann somit auch nur eine eingeschränkte Macht auf das operative Geschäft ausüben.
Wochenlang hatte er sich offensiv als die neue Lösung für den kranken Verein präsentiert. Ohne Rücksicht auf jetzige Amtsträger hatte er erzählt, den HSV komplett umkrempeln zu wollen. Der 2014 ausgegliederten Profiabteilung des akut abstiegsbedrohten Klubs sollte wieder der Hauptfokus gehören. Bowling und Tischtennis des 78.000 Mitglieder zählenden Gesamtvereins mit seinen 30 verschiedenen Sportarten weit nach hinten rutschen. „Hat der e.V. eine Erkältung, bekommt die AG eine Lungenentzündung“, war einer der Lieblingssätze des einstigen Zampanos gewesen.
HSV hat 105 Millionen Euro Verbindlichkeiten
Gleich zu Beginn der Versammlung war eine Münze geworfen worden. Wer sollte bei Punkt 14 zuerst reden, der Chef der Hafen-Verwaltungsbehörde Hamburgs Meier (51), der den Job im Nebenberuf ausübt oder Herausforderer Hoffmann, seit Januar Privatier, Ex-Sportvermarktungsmanager, einer der dem HSV zu 78 Europapokalspielen verhalf, der den Stall 2011 aber auch mit 20 Millionen Euro Restzahlung für noch ausstehende Transfertranchen hinterließ.
Nach Meiers Einführung kamen einige Beiträge, die seine „Schönwetter-Rede“ kritisierten. Es müsse einen Wechsel in der Führung des HSV geben, wurde gefordert. 105 Millionen Euro Verbindlichkeiten der HSV-Fußball AG würden Bände sprechen. Da nützen auch 166.000 Euro positive Bilanz des e.V. im abgelaufenen Geschäftsjahr nichts. Der HSV sei marode, Meier redete zwar von einer positiv verlaufenen Restrukturierung nach der Beinahe-Insolvenz, doch die Stimmung drohte langsam zu kippen.
Denn zur Finanz-Schieflage kommt die beispiellose sportliche Talfahrt. Der HSV ist seit Jahren Dauergast im Tabellenkeller, obwohl der Kader immer noch relativ teuer ausgestattet ist. Wo es die Mannschaft zuletzt immer wieder schaffte, den Kopf im letzten Moment aus der Schlinge zu ziehen, scheint nun das Ende der Fahnenstange erreicht zu sein. Sechs Punkte beträgt mittlerweile der Abstand auf Relegationsplatz 16.
Das Spiel gegen Leverkusen (1:2) war ein Offenbarungseid. Der HSV befindet sich im freien Fall, taumelt schnurstracks zum ersten Mal in der glorreichen Vereinshistorie auf die zweite Liga zu. Am Ende der Partie kam es zu Tumulten, Radaubrüder aus der Nordtribüne wollten den Platz stürmen, Ordner und Polizeikräfte waren in höchster Alarmbereitschaft. Schon vor dem Anpfiff war dort ein Transparent ausgerollt worden mit der Aufschrift: „Bevor die Uhr ausgeht, jagen wir euch durch die Stadt.“ Die Stadionuhr beim HSV ist Insignium, seit fast 55 Jahren Mitglied der Fußball-Bundesliga zu sein. Als einziger Klub ohne Unterbrechung. Doch der vielzitierte Bundesliga-Dino kränkelt nicht nur, er scheint klinisch fast tot zu sein. Die Mannschaft verzichtete ob der Geschehnisse vom Vortag lieber drauf, am Sonntag zu erscheinen.
Nun könnte auch Bruchhagen in Gefahr sein
Dann betrat der gegenwärtige Vorstandschef der Fußballabteilung, Heribert Bruchhagen, das Rednerpodest. Der 69-Jährige hatte zwar erst vor zwei Monaten eine Vertragsverlängerung bis zum Sommer 2019 erhalten, doch hinter vorgehaltener Hand gilt längst als ausgemacht, dass Hoffmann, über die Strategie auf Sicht von ihm gewollte Aufsichtsräte zu installieren, auch Bruchhagen austauschen würde.
Es wäre um ein „ausgeglichenes Betriebsergebnis“ für die Saison 2017/18 gegangen, weshalb der HSV in diesem Sommer der einzige Bundesligaverein gewesen wäre, der keinen einzigen Transfer getätigt hatte, betonte Bruchhagen. Das Ergebnis war am Vortag zu sehen gewesen: Der HSV ist momentan nicht bundesligatauglich. „Ich glaube immer noch an den Klassenerhalt.“ Auch das „Worstcase-Szenario“ Abstieg müsse man als HSV-Fan mittragen, ergänzte er. Schließlich seien andere Traditionsklubs, teilweise mehrfach, bereits ebenfalls abgestiegen. „Es hat eine Eigendynamik des Misserfolges stattgefunden, die ich nicht erwartet hatte“, sagte Bruchhagen, der seit Dezember 2016 beim HSV im Amt ist.
Währenddessen tigerte Hoffmann, umtriebig wie eh und je, durch den Saal. Er würde eine Hausmacht hinter sich scharen und instrumentalisieren, wurde zuvor prognostiziert. Bis zu 3000 Mitglieder waren erwartet worden, he mehr kämen, desto größer die Wahrscheinlichkeit, der große Strippenzieher von einst käme beim HSV wieder in Amt und Würden.
Mittlerweile hatten sich 1252 Mitglieder in der Kuppel eingefunden. Zunächst wurde beschlossen, die Amtszeit des Präsidiums von drei auf vier Jahre zu erhöhen. Dann betrat Hoffman als erstes die Bühne. Zunächst verhaltenes, aber nicht knappes Klatschen. Zusammen mit seinen Partnern Thomas Schulz als Vize und Moritz Schaefer als designierter Schatzmeister, präsentierte er sein Konzept.
Dann zieht Hoffmann seine schärfste Waffe
Eloquent wie eh und je, führte Hoffmann aus: „Ein weiter so, kann es aus meiner Sicht nicht geben, wir brauchen dringend eine Umkehr.“ Der Jubel wurde lauter, die Zahl seiner Claqueure größer. „Die Herzkammer des HSV schlägt in der Fußball AG“, postulierte er pathetisch. Hoffmann bemängelte Stillstand und fehlende Kontinuität, obwohl den knapp 80.000 Mitgliedern des e.V. als Mehrheitsanteilseigner 76,19 Prozent der AG gehören würden.
So langsam bekam der Rhetoriker das Auditorium in den Griff. Dann zog er seine momentan schärfste Waffe gegen Meier. Er könne im Vergleich zu diesem, der beruflich zu sehr gebunden ist, sogar den Vorsitz des Kontrollgremiums übernehmen, der ihm qua Satzung zustünde. Auch zum möglichen Abstieg bezog Hoffmann Stellung. Man würde zwar „Rotz und Wasser heulen“, aber „wieder aufstehen“, sagte er.
Meiers anschließende Gegenrede geriet trocken. Auf Nachfrage untermauerte er den eingeschränkten Einfluss des Präsidenten auf AG-Belange, den Hoffmann indes forsch verspricht. Ein Hoffmann-Gegner sprach dann von dessen „Erbe“ und erinnerte daran, dass er die beispiellose Talfahrt schließlich mitinitiiert habe. Es gab vereinzelte „Hoffmann raus“-Rufe. Nach einem insgesamt sechs Stunden dauernden Debattenmarathon schritten die Mitglieder schließlich zu den Wahlurnen. Als die Auszählung erfolgt war, gab es das mit Spannung erwartete Ergebnis: 585 Mitglieder votierten für Hoffmann, 560 für Meier. Damit war der Machtwechsel beim HSV perfekt.
Doch längst nicht alle waren damit einverstanden. Laute „Hoffmann raus“-Rufe zeigten an, wie stark seine Person immer noch polarisiert. Kurz darauf stand er auch schon in gewohnter Manier, inmitten einer Traube von Mikros und Kameras und sagte zu seiner Wahl: „Es ist eine brutal schwere Aufgabe in einem knallharten Wettbewerb. In bestimmten Bereichen sind wir nicht wettbewerbsfähig aufgestellt.“